Berlin Jazz - Jansen, Derado, Meyer, Petrowsky, Dell + Polyversal Souls



„Wir in Berlin sind überall dabei, aber wir kommen zu nichts.“ Kurt Tucholsky

Das Problem: Eine Übersicht finden. Der Inhalt: Jazz. Die Frage: Wo anfangen, wo aufhören. Mehr als drei Jahre betreibe ich diesen Blog, es scheint mir, es bringt nichts. Kaum jemand da, der oder die sich für Jazz interessiert – und wenn, informiert er/sie sich eh woanders, und wo nicht, bekomme ich das Interesse nicht geweckt – da fragt sich der innere Verwertungsassistent (der Buchhalter) nach dem Gewinn. Ich will mich nicht beklagen, darum beklage ich mich. Offenbar befinde ich mich mit diesem Jazzblog am äußersten Rand der Gesellschaft, am Ende der Geschichte, sehe einen Abgrund und wage nicht zu springen. Schaue ich aber etwa auf diverse Playlists und deren Follower – so sehe ich durchaus ein sehr starkes Interesse für Jazz – in allen Formen: vom Progressiven über Easy Listening über Pop-Jazz oder auch die Big Five: Coltrane, Miles, Hancock, Corea und Evans – als hörten sie es insgeheim?

Der Städteplaner hatte eine Idee, eine Begründung: Es gibt die Einfkaufsmeile der Wilmersdorferstraße und in seinen Nebenstraßen entwickelt sich spezialisiertes Leben. Übertragen auf die Musik: Wenn irgendetwas Mainstream ist, ist er so dick inzwischen, er zeugt nur von sich, an den Rändern entwickelt sich noch mehr Mainstream, allein wie viele verzweifelte Existenzen daran hängen. Und ich, gehetzt und gejagt vom Alltag, kann abends hin und wieder reinhören, neben der Arbeit … beim Joggen – auch mal ein paar Playlists sondieren oder im Netz rumlesen – alles in allem – es bleibt Stückwerk und dem Zufall ausgesetzt. Es gibt keine Zufälle, höre ich es noch immer aus der Jugend herüberklingeln – damit war eine Vorherbestimmtheit gemeint – dagegen Nichts ist wirklicher als der Zufall von Auster aus den New York Trilogien, dazwischen pendelt sich all das ein – trotzdem will ich noch einen Rest Selbstbestimmung – und suche also nach Kartografen und Eckpfeilern – ein Spielfeld, das mir einen Überblick ermöglicht.

Ich hatte eine Idee: Sortierung und Ortung nach Instrumenten. Verworfen. Ich hatte eine Idee: Sortierung und Ortung nach Genres. Verworfen.

Ich hatte eine Idee: Sortierung und Ortung nach Ländern. Ja, das kannst du machen. Wo anfangen wo aufhören. Allein in Deutschland machst du bald mehr als X-zausend Musiker:innen ausfindig. Kannst du hier einsehen; Wikipedia: – kommst du nicht weit. Also muss der Fokus enger gesetzt werden.

Fangen wir mit Berlin an

Auch wenn in London … in New York … in Chicago … in Oslo … in Stockholm … in Paris, in Brüssel … in Warschau … kaum zu glauben, dass, während du am Schreibtisch sitzt, weltweit in all den Städten der Welt Musik performt wird – umso unglaublicher eigentlich, dass all die Musik kaum zur Kenntnis genommen wird.

Ja, auf Berlin beschränkt kommst du trotzdem auf eine fünfstellige Zahl – allein im Bereich Jazz eine vierstellige. (Eine Pimaldaumenschätzung.) Nehmen wir Klassik, Neue Musik, Pop, Rock und Wave, Progrock etcetera, sind wir bald in einer Größenordnung – du bräuchtest zehn Leben, das in Erfahrung zu bringen. Und es folgen die, die einen Gitarrenkoffer durch die Straßen in die Musikschule schleppen. Sich ans Klavier setzen … hier zum Beispiel, ganz in der Nähe: in der Fanny Hensel Schule …

Fanny Hensel Schule Musik in der Wallstraße Berlin

… oder keine drei Straßenzüge weiter, der Boulez Saal von Renzo Piano unter der Regie von Baranboim – wo nicht nur Konzerte stattfinden, sondern viel geprobt und ausprobiert wird – schon jetzt eine Instanz:

Boulez Saal Der Barenboim Said Akademie

In Berlin hast du die Wahl – was nur ein Widerschein ist auf einen enormen Luxus. Neulich noch konnnte ich nur mit den Schultern zucken, als ich von der lebendigen Jazzszene Berlins hörte – für viele beginnt sie im A-Trane und endet im Donau – hier kannst du ein bisschen mit Clubs und Musiker:innen gesucht nach Präferenz und Gegend „spielen“: Datenbank des Jazzinstituts Darmstadt – in ihr ich nichtmal den Zig Zag Club gefunden habe, eine Berliner Instanz – muss ich nicht verstehen. Neulich auf Twitter mir sogar die Jazzinitiative Helmholtzplatz über den Weg lief … gab es da nicht noch eine Idee für Berlin: im Tagesspiegel vom Anfang des Jahres hieß es, das Jazz Haus Berlin kommt: wir werden sehen. Passiert ist seitdem nicht viel erkennbar Sichtbares.

Nun, ein paar Monate weiter … Covid19 hat uns die Bühnen genommen, wir hoffen, dass es bald wieder heißt: habe die Ehre vorzustellen … Grüße ins Publikum … den Wundervollen hier, die Virtuosin dort … ich für meinen Teil habe den Fokus die letzten Wochen auf Berliner Musiker:innen gelegt – damit das Bild (auch für mich) endlich vollständig wird, möchte ich in losen Abständen von denen berichten, die mir im Netz über den Weg gelaufen sind: Und hoffe auch, dass ich bald Gelegenheit bekomme, sie zu begrüßen im A-Trane, im B-Flat, im Donau, vielleicht auch am Helmholtzplatz oder eben bald im Jazzhaus Berlin.

Die Vorstellungen der Musiker:innen erfolgt ohne Präferenz und ohne Ansicht der Person, auch nicht alphabetisch, ich hoffe das sortiert sich später von selbst. (Ich kategorisiere erstmal nur nach Jazz Berlin – die Klassifizierungen Freejazz oder NU-Jazz oder Contemporary Jazzart oder Hot-Soft-Hard-Love-Bop und Crunch-Trash-Progressive-und-oder-Minimalistisch-versus-Orchestral und Big-is-not-Bigger sei allen freigestellt – die ganzen Schubladen dürfen durchaus ins Museum gestellt werden – führen sie doch dazu, dass immer mehr wegsortiert wird – sehr sehr Schade. Jazz war und ist noch immer ein Live-Moment – ein kommunikatives dazu.)


Arne Jansen Trio Nine Firmaments.

Arne Janson Trio – Nine Firmaments 2016 *Traumton

Arne Jansen *geb. 1976 in Kiel, studierte von 1996 bis 2001 Jazzgitarre an der Universität der Künste Berlin und wurde von Jeanfrançois Prins, David Friedman, Sigi Busch und Peter Weniger unterrichtet. Hörbeispiele auf seiner Website. Arne Jansen Trio, hier zusammen mit Eric Schaefer und Robert Lucaciu.

Tino Derado Tales & Stories

Tino Derado Tales & Stories

Tino Dorado (studierte in Boston und New York City, heute ist er Professor für Jazz-Klavier in Hannover – zwischenzeitlich Lehrbeauftragter der Hochschule der Künste in Berlin, auch HdK genannt … gefunden habe ich: tino derado (p) ken norris (voc) josh ginsburg (b) roland schneider (dr)

Bernhard Meyer – Murmuration

Bernhard Meyer – Murmuration – Label: Traumton

Bernhard Meyer: bass; Claudio Puntin: clarinet, bass clarinet, electronics
Peter Meyer: guitar, electronics; Julius Heise: vibraphone, glockenspiel, percussion; Andi Haberl: drums – Auch zu finden unter Melt Trio / Aktuelles unter http://bernhardmeyer.net/ :

Ernst-Ludwig Petrowsky – Brunig, Uschi /Petrowsky, Ernst-Ludwig: Enfant

Brunig, Uschi / Petrowsky, Ernst-Ludwig: Enfant : Label Jazzwerkstatt 2010

Ernst-Ludwig Petrowsky (* 10. Dezember 1933 in Güstrow, oft Luten Petrowsky genannt) gilt als einer der Urväter des Jazz der DDR. Neben seinem Wirken als Saxofonist, Klarinettist und auf der Flöte ist er auch als Komponist und Autor tätig. Eintrag auf Wiki

Christopher Dell – Benny Goodman Revisited

Paquito D’Rivera, WDR Big Band, Chrisopher Dell – Benny Goodman Revisited

Christopher Dell – *1965 in Darmstadt / Leitet seit 2000 das „Institut für Improvisationstechnologie“ in Berlin / Seit 2010 arbeitet er im Trio mit Christian Lillinger und Jonas Westergaard – „Grammatik II“ untersucht und experimentiert mit strukturellen Rahmen – diese strukturellen Rahmen bilden das musikalische Material, das das kollektive musikalische Handeln der Künstler formt, antreibt und ihm Sinn verleiht. In diesem Sinne interpretiert das Trio „musikalisches Denken“ als „strukturelles Denken“, wodurch komplexe und kontingente Beziehungen und vielfältige Aspekte der Musikpraxis konstruktiv nebeneinander existieren können. Nachzulesen auf seiner Website:

The Polyversal Souls – Invisible Joy

Invisible Joy von The Polyversal Souls

Webauftritt über Bandcamp : und : Philophon Lobeshymne im Netz bei Spex ; Cinematic Roots-Reggae from Ghana as it was never heard before! Y-Bayani and Baby Naa are giving the perfect blend of two natural talented voices. Listen and be surprised! The Polyversal Souls is the new Berlin-based band by Max Weissenfeldt. The city’s vital music scene gave him the chance to bring together excellent musicians with a common passion and interest for sounds from all around the world.

Spotify Playlist

Ich werde also, so weit ich dazu komme, Musiker und Musikerinnen vorstellen, die wahrscheinlich nur wenige kennen – kurz und knapp (so es meine Zeit ermöglicht). Die aber in Berlin anzusiedeln sind – ich will das endlich sichtbar machen und auf einen Blick zusammen haben, nicht immer stundenlang im Netz rumsuchen müssen – das Ganze ist schon reichlich fragmentiert, leider. Und schlecht organisiert zudem. Nirgends Leitplanken, keine erkennbaren Strukturen – hier und da Institute – hier und dort ein paar Clubs – nicht vergessen hier und da ein Label, das sich wohltuend vom Big Deal abhebt … das macht es einerseits geräumig und scheinbar frei – andererseits haben es die, die nicht auf dem Radar erscheinen, nicht einfacher dadurch. Sind trotzdem da. Sind trotzdem gut. Sind trotzdem auf den Schirm zu holen. Ich plädiere durchaus für mehr Offenheit, für mehr Empfang, Feinsinn, Empathie und ja, auch Emphase in der Vermittlung. Meine: es ist schon absurd, wie vor wenigen Monaten ein Kamasi Washington wie aus dem Nichts zum Kometen aufsteigt, und wir aber bekommen es nicht hin, die eigene Szene mit Energie zu versorgen? – Dass Jazz keinem Geschmacksurteil entspricht, halte ich im Übrigen für ein Gerücht. Ich fürchte vor allem einen Mangel an Selbstbewusstsein – als Musiker bist du ja nicht nur auf dein Publikum angewiesen, sondern auch dem permanten Strom an Urteil und Gegenurteil ausgesetzt. Wer schließlich sein eigenes Ding im Kopf hat, braucht trotzdem einen Abgleich – da haben wir leider wie in fast allen Kultursparten: Rangordnungen, Distinktionen, Spezialisierungen und in sich abgeschirmte Systeme, Durchlässigkeiten sind auch im Bereich der Musik nicht wirklich gegeben. Deswegen mein Anliegen: auch die aufzuspüren, die nicht rauf und runtergespielt werden, die nicht im Geld sind, die nicht auf der großen Bühne stehen.

Zur Anleitung: Ich selbst verstehe mich als Liebhaber des Jazz – dies soll eine Übersicht werden über die Berliner Jazzszene (es gibt auch Überschneidungen zu anderen Sparten – das hier soll kein Plattenladen werden mit den neuesten Neuigkeiten, auch da geht mir die Luft aus. Wie bitte, bei täglich mehr als hundert Neuerscheinungen, soll ich das alles zu mir nehmen.

Gegen Ende dieser Serie – die dann erweitert werden kann – sollte dann hoffentlich unter dem Kriterium Berlin Jazz ein Überblick entstanden sein. Das mach ich dann je nach Interessenslage gern für Köln, München, Hamburg oder Frankfurt – später Warschau, Basel, Wien, Budapest, Paris, London und Brüssel auch – (New York und Chicago hebe ich mir für ein anderes Leben auf).

Schließlich und last but not least: Wie schon zu oft gehört, und ebenso oft des Gegenteils überführt. Weder ist der Jazz tot, noch ist er etwas für alternde Typen (allein der Auftritt so vieler junger neuer Namen lehrt fast stündlich das Gegenteil!) – und bitte: geh ruhig mal in dich, du wirst fast keinen Film finden, da er nicht auchmal einen kräftigen Ton ablässt: ein weites Thema. Wir kommen darauf zurück.

In dem Sinn. Wir sehen uns. Bald wieder live und in ganzer Länge.

„In dieser Stadt wird nicht gearbeitet -, hier wird geschuftet. (Auch das Vergnügen ist hier eine Arbeit, zu der man sich vorher in die Hände spuckt, und von dem man etwas haben will.)“ Kurt Tucholsky

Grüße in die Runde